Brainstorming
Controlling
Digitalisierung
Management allgemein
04.04.2023

Controlling als Knotenpunkt der Digitalisierung

Als Begründung für den Investitionsbedarf herangezogen werden nicht selten die Vergleichswerte der Sozialbranche, wie sie im IT-Report Sozialwirtschaft der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt jährlich veröffentlicht werden. Doch auch diese Vergleichswerte sind eben nur Vergleichswerte. Sie beschreiben den Branchenstandard, nicht die technisch effiziente Produktionsfunktion. Wie die IT-Landschaft eines Trägers am besten ausschauen könnte, welche Hardware- und Softwaregrößen für die jeweilige Angebotsstruktur optimal sind und welches IT-Management die besten Ergebnisse bringt, müsste den Beweis beim Ergebnis finden, nicht bei Mengenbenchmarks.

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Mein russischer Lieblingswitz geht so. Frage: Stimmt es, dass Ivan Pawlow in der staatlichen Lotterie als Hauptpreis ein neues Auto gewonnen hat?
Antwort: Im Prinzip ja. Nur: es war kein Auto, sondern ein Fahrrad. Und das Fahrrad war nicht neu, sondern gebraucht. Und er hat es nicht gewonnen, sondern es wurde ihm geklaut.

Nach einem ähnlichen Muster verlaufen die Gespräche zwischen dem IT-Leiter und dem Vorstand einer sozialen Einrichtung. Stimmt es, dass wir eine neue Software benötigen, oder eine neue Serverlandschaft oder die PCs durch Clients ersetzen sollen? Ja, das stimmt. Aber die damit verbundenen Prozessverbesserungen, Kosteneinsparungen und Personalrationalisierungen treten erst mittelfristig ein; in den nächsten Jahren sind diese IT-Investitionen mit Mehrkosten verbunden. Leider. „Mittelfristig“ kann man nicht so genau definieren, vermutlich ist es der Zeitraum bis der IT-Leiter in das Zimmer des Vorstandes geht und darauf hinweist, dass man eine neue Software…

Als Begründung für den Investitionsbedarf herangezogen werden nicht selten die Vergleichswerte der Sozialbranche, wie sie im IT-Report Sozialwirtschaft der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt jährlich veröffentlicht werden. Doch auch diese Vergleichswerte sind eben nur Vergleichswerte. Sie beschreiben den Branchenstandard, nicht die technisch effiziente Produktionsfunktion. Wie die IT-Landschaft eines Trägers am besten ausschauen könnte, welche Hardware- und Softwaregrößen für die jeweilige Angebotsstruktur optimal sind und welches IT-Management die besten Ergebnisse bringt, müsste den Beweis beim Ergebnis finden, nicht bei Mengenbenchmarks.

Insofern: man müsste den Controller fragen können, und eine gute Antwort bekommen, ob und wie sich die Produktivität des sozialen Dienstleistungsunternehmens durch IT-Investitionen verändert. Doch das IT-Controlling ist, nicht nur in der Sozialwirtschaft, eine Wanderbaustelle. Sie taucht immer wieder mal an einer anderen Stelle auf und scheint nie fertig zu werden.
Anders formuliert: dem Controlling fehlen theoretische Modelle und empirische Kenntnisse über die Bedeutung des Produktionsfaktors „IT“ in sozialwirtschaftlichen Organisationen.

Manchmal trifft man die Wanderbaustelle dort an, wo über die optimale Personalstruktur gesprochen wird. Aus dem Controlling fließen dann die Informationen über die Umsetzung der Fachkraftquote, über die Personalmenge und Fehlzeiten. Doch in welchem Datensilo sind die Überlegungen versteckt, ob nicht andere Personalmischungen, andere Personalmengen, andere Fachkraftquoten und vor allem: die Integration der Klienten in Dienstleistungsprozesse als Ko-Produzenten das Ergebnis unserer Einrichtungen verbessern können? Auch bei solchen Überlegungen wird das Controlling an der kurzen Leine gehalten. Die Beobachtung der Organisationseffizienz bleibt im sozialrechtlichen Rahmen, im Rahmen der Rahmenverträge und verschattet dem neugierigen Controlling den Blick auf Produktivitätssteigerungen.

Anders formuliert: dem Controlling fehlen theoretische Modelle und empirische Kenntnisse über die Bedeutung des Produktionsfaktors „Personal“ in sozialwirtschaftlichen Organisationen. Das Controlling beobachtet, so sagt auch das Lehrbuch, die Differenzen zwischen Zielwerten und Istwerten einer Organisation und informiert die Entscheidungsinstanzen darüber durch mehr oder minder intelligent konstruierte Kennzahlen.

Doch galt es doch auch immer als Aufgabe des Controllings, die Entscheidungsträger nach Erklärungen für abweichende Ergebnisse zu fragen. Insofern haben sich Controller in der betriebswirtschaftlichen Evolution nicht nur als Zahlenknechte herausgemendelt, sondern auch als Reflexionsinstanz der Produktivität und der entsprechenden Produktionsfunktion. Nicht nur die Vorlage meterlanger Exceltabellen, sondern auch das Gespür für Ineffizienzen und Ineffektivitäten gehören zum Controllerberuf.

Die nächste Wanderbaustelle in der eingefahrenen sozialwirtschaftlichen Streckenführung muss das Controlling selbst einrichten. Der Controller kommt nicht mehr nur als Beobachter ins Spiel, sondern als Organisator, der sich um die Vorbereitung der Organisation auf digitalisierte Organisationsstrukturen kümmert. Das Controlling wird der Knotenpunkt der Digitalisierung, weniger die IT-Abteilung.
Mit welchen Veränderungen im Personaleinsatz ist, im wahrsten Sinne des Wortes, zu rechnen?

Wie sieht denn demnächst eine Kostenrechnung aus, wenn die Grenzkosten der Plattformökonomie tendenziell gegen Null gehen? Wer ist denn demnächst die Kostenstelle und wer muss diese verantworten, wenn individuelle Hilfesettings, auch organisationsübergreifend, gebildet werden? Wie macht man denn organisationsbezogenes Controlling, wenn der Wettbewerb zwischen den Unternehmen zunehmend durch gemeinsame Wertketten abgelöst wird? Wem ordnet man wie die Erlöse zu, die sich als Präventionsrenditen, als vermiedene Kosten durch digitalisierte Dienstleistungskonfigurationen ergeben? Und wie und wem ordnet man Erlöse zu, die sich aus der Internetökonomie mit ihren eigen-artigen Nachfragemustern und Zahlungsmodalitäten ergeben?

Und nochmals zurück zur Produktionsfunktion sozialer Unternehmen. Durch digitalisierte Dienstleistungs- und Verwaltungsprozesse verändert sich die Unternehmensstruktur grundlegend. Aber für das Controlling bedeutet Digitalisierung ja auch eine völlig veränderte Datenmenge, die man durch Wolken, Serverkapazitäten, dicke Leitungen, QR-Codes an jeder Ecke und Bluetooths in der Luft möglicherweise noch bewältigen kann. Die Datenmenge pro Klient pro Tag ist heute schon erheblich, aber noch überschaubar. Manchmal reicht die Information, ob er überhaupt da ist, häufig kommen noch einige verhaltensbezogene Daten hinzu, die Datenverarbeitung für Entwicklungs- und Hilfeplanungen fallen monatlich ins Gewicht, sind aber kalkulierbar. Aber was macht das Controlling, wenn intelligente Dinge pausenlos funken und durch Algorithmen zu noch intelligenteren Informationen verdichtet werden, wenn Sensoren die Dienstleistungseffizienz multiplizieren, wenn Dienstleistungsprozesse quer durch die eigene Organisation und durch andere Unternehmen laufen, wenn Big Data sozusagen der Big Boss des Geschehens wird?

Das Controlling wird der Knotenpunkt der Informationssteuerung in einer Organisationsumgebung, in der die Klienten und Kunden sowieso die Organisation digital steuern.

 

Prof. Bernd Halfar, Katholische Universität Eichstätt
Research Group NPO-Controlling/SROI